Theatertexte

Elise Müller
Hrsg. von Johannes Birgfeld

Die Kostgängerin im Nonnenkloster

Ein Schauspiel in 4 Aufzügen

Bis vor kurzem gehörte Elise Müller zu jenen Schriftstelerinnen des 18. Jahrhunderts, deren Name und Werk trotz ihres großen literarischen Talentes und Könnens in Vergessenheit geraten war. Nun liegt erstmals seit seinem Erstdruck ihr dramaturgisch wie inhaltlich höchst originelles und raffiniertes Revolutionsschauspiel Die Kostgängerin im Nonnenkloster aus dem Jahr 1797 in einem Neudruck vor.
Das Schauspiel erzählt vom Leid eines jungen Mädchens, das von seiner Mutter auf unbestimmte Zeit als Laienschwester in ein Kloster gezwungen wird, damit es und bis es einer von der Mutter mißbilligten Liebe entsage. Im Kern aber geht es nicht um die Liebe. Die Kloster- und Liebesgeschichte ist vielmehr eine komplexe Metapher für die politische Situation der jüngsten Generation der bürgerlichen Aufklärung kurz nach der französischen Revolution: Frustriert vom Fortdauern der absolutistischen Verhältnisse in Deutschland und enttäuscht von den eigenen Eltern, die sich mit dem Staat arrangiert haben und dabei feist und träge geworden sind, drängen die Jungen zur Revolte nicht nur gegen den Staat, sondern ausdrücklich auch – und darin liegt eine Besonderheit des Stücks – gegen die eigenen Väter und Mütter.
So entstammen die Personen dieses Stückes bemerkenswerter Weise nicht mehr dem Kleinbürgertum, sondern der bürgerlichen Funktionselite hoher Regierungsbeamter: Das Schauspiel ist als revolutionärer Weckruf an die eigene bürgerliche Schicht gedacht. Revolutionäre Stichwörter und Debatten prägen zudem fast alle Dialoge, die auf diesem Wege ihrerseits die zeitgenössischen politischen Diskussionen kommentieren und antirevolutionäre Vorbehalte zu wiederlegen versuchen. Und wenn Elise Müller schließlich im 4. und letzten Akt dafür sorgt, daß sich ihre Protagonistin zunächst selbst (!) aus dem Kloster befreit, dann mit ihrem mit einem Gewehr (!) gerüsteten Geliebten in die Fremde flieht, ehe in einem kühnen Gegenschnitt die verlassene Familie beim ruhigen Kartenspiel als die untergegangene Generation gezeigt wird, dann ist jedem Leser bzw. Betrachter klar, daß hier im Nachklang der Französischen Revolution Politik verhandelt und Agitation betrieben wird. Darüber hinaus zeigt Elise Müllers Drama erstmals auf der deutschen Bühne des 18. Jahrhunderts eine politisch selbständige Frau bzw. die politische Subjektwerdung einer Frau, die eigenständig und erfolgreich gegen ihre Lebensumstände vorgeht und für eine bessere Zukunft kämpft.
Mit Elise Müllers Die Kostgängerin im Nonnenkloster gilt es ein Stück großer, gänzlich zu unrecht vergessener Dramenliteratur um 1800 wiederzuentdecken, das hier erstmals seit 1797 textgetreu wieder nachgedruckt und mit einem umfangreichen Nachwort (40 S.) ausgestattet wurde.

»Die Neuentdeckung einer faszinierenden Dramatikerin aus der Zeit der späten Aufklärung ... ein spannende[s], Verblüffung hervorrufende[s] Leseerlebnis ... Elise Müller hat ein Revolutionsstück geschrieben, sie hat die scheinbare Idylle des bürgerlichen Alltags als Gefängnis entlarvt und ihre Hauptfigur zu einer Trägerin des revolutionären Gedankens gemacht ... man kann nur staunen über den Mut dieser hochbegabten und dazu auch menschlich anrührenden Autorin« (I. Gleichauf, literaturkritik.de)

Johannes Birgfeld

Johannes Birgfeld, Studiendirektor (Neuere deutsche Literaturwissenschaft) im Hochschuldienst der Universität des Saarlandes. Publikationen v. a. zur Literatur des 18., 20. und 21. Jahrhunderts sowie zur Geschichte von Drama und Theater. Promotion über Krieg und Aufklärung. Er war Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Wulf Segebrecht.

  • ISBN: 978-3-93232-487-0
  • Gotha 1797
  • Mit einem Nachwort von Johannes Birgfeld
  • Theatertexte 11
  • 120 Seiten
  • Broschur
  • Am 10.11.2003 erschienen
  • Deutsch
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