Haben Sie schon einmal Gedichte gelesen? Natürlich. Und haben Sie Gedichte auch schon einmal gesehen? Sicher, denn mit ihrer charakteristischen optischen Erscheinung lassen sich kürzere Texte in gebundener Sprache meist auf den ersten Blick von Romanen, Erzählungen oder Theaterstücken unterscheiden. Haben Sie aber schon einmal versucht, den Gehalt von Gedichten von deren Visualität her zu entwickeln? Nein? Dann wird es Zeit, Schriftbilder lyrischer Texte lesen-betrachten zu lernen und sie als Sinnträger wahrzunehmen – etwa in Fontane-Gedichten.
1888 war ein epochemachendes Jahr, für das borussogermanische Kaiserreich sowie für den Reimschmied Theodor Fontane. Der nämlich veröffentlicht eine Ballade, die auf die druckortunabhängige Lesbarkeit seines preußischdeutschen Dichterworts setzt – doch Eigentümlichkeiten des Druckorts, die Erscheinungs- und Vertriebsgepflogenheiten der Zeitschrift Zur guten Stunde, machen die Pointe der Ballade zufällig zunichte. Das hat Konsequenzen. In der Folge berücksichtigt Fontane Spezifika dieses Publikationsmediums, er nutzt die Visualität der gedruckten Journalseite als historiographisches und werkpolitisches Instrument: Mit ihrer Hilfe betreibt er poetische Zeitgeschichtsschreibung und arbeitet an der Konstitution seines Œuvres.