Theatertexte

August von Kotzebue
Hrsg. von Bertold Heizmann

Der Graf von Gleichen

Ein Spiel für lebendige Marionetten

Einige Gärung«, heißt es, habe die Aufführung des Stückes Der Graf von Gleichen von Goethes Intimfeind August von Kotzebue in Weimar hervorgebracht, als es zum Geburtstag der Großfürstin 1815 gegeben wurde. Diese nach Urteil zahlreicher Zeitgenossen »elende Burleske« war ja erkennbar eine Parodie auf Goethes Stella, und Goethe selbst, der nicht anwesend war, soll darüber geschäumt haben »wie ein angeschossener Eber«. Was hat ihn derartig erzürnt, dass er sogar Weimar für immer verlassen wollte? – In seiner Stella, die er bereits 1775, damals noch mit dem Untertitel Schauspiel für Liebende, geschrieben hatte, war der Konflikt eines Mannes zwischen zwei Frauen mit dem Verweis auf die Geschichte vom Grafen von Gleichen gelöst worden. Dieser Graf war der Sage nach als Kreuzritter in orientalische Gefangenschaft geraten und von einer schönen Sarazenin gerettet worden; aus Dankbarkeit hat er sie, obwohl ehelich gebunden, mit päpstlichem Dispens geheiratet und zu Hause mit beiden Frauen eine harmonische Ménage à trois geführt. Für die
30 Jahre später in Weimar aufgeführte Fassung wählte Goethe jedoch – aus vorgeblich moralischer Rücksicht – einen tragischen Schluss. Kotzebues Komödie parodiert beides: sowohl die Vorstellung eines harmonischen Zusammenlebens der drei Protagonisten als auch die Konfliktlösung durch Freitod. Sein mit drastischer Komik ausgestattetes Stück trifft das zentrale Problem der Goethe’schen Dramenschlüsse, die beide als unglaubwürdige Scheinlösungen dem Spott ausgesetzt werden.

August von Kotzebue

August von Kotzebue (1761-1819) war Schriftsteller, Publizist und Theaterautor.
Geboren und aufgewachsen in Weimar, erlangte Kotzebue internationale Berühmtheit durch sein Dramenwerk, das die theatralen und gesellschaftlichen Konventionen seiner Zeit publikumswirksam herausforderte. Zeitweise übernahm er selbst Theaterleitungen und war u.a. für die Bühnen in Wien, St. Petersburg, Tallinn, Königsberg und Mainz zuständig.
Als engagierter Medienmacher arbeitete Kotzebue an der Profilierung des Pressemarktes, indem er mehrere belletrische Zeitschriften ins Leben rief und herausgab, darunter »Bibliothek der Journale« (St. Petersburg), »Für Geist und Herz« (Tallinn), »Die Biene« (Königsberg), »Der Freimüthige« (Berlin) und »Literarisches Wochenblatt« (Weimar).
Zeitlebens stand Kotzebue im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Auf das Interesse für seine Person reagierte er mit autobiografischer Unterhaltungsprosa, nicht selten mit ironischem Unterton. Die literarkritischen Debatten bestritt er ausgiebig auf dem Feld der Publizistik. Kotzebues gesellschaftspolitische Polemik gegen die radikalen deutschnationalen Tendenzen gab schließlich Anlass zu seiner Ermordung, die selbst zum transnationalen Medienereignis wurde.
August von Kotzebue gilt bis heute als der meistgespielte deutschsprachiger Dramatiker. Mit dem Lexikon »Kotzebues Dramen« liegt seit 2011 bei Wehrhahn Verlag ein konziser Überblick über seine Theaterproduktionen vor.

  • ISBN: 978-3-98859-027-5
  • ISSN: 1863-8406
  • Theatertexte 88
  • 88 Seiten
  • Broschur
  • Am 24.08.2023 erschienen
  • Deutsch
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