Zerrissenheit ist das Thema der beiden Novellen Lessing und Molière, die Alexander von Ungern-Sternberg 1834 veröffentlichte. 1832 hatte er mit Die Zerrissenen den Weg vorgezeichnet und das Phänomen der Zeit beim Namen genannt. Rasch avancierte der Titel zum Schlagwort und beschäftigte den zeitgenössischen Literaturbetrieb von Heinrich Heine über Karl Gutzkow bis zu Georg Büchner. Sternbergs Novellen erzählen von Künstlern, die mit sich selbst und den Widrigkeiten, die auf sie einstürmen, kämpfen. Die Salonkultur zum Vorbild nehmend schließen sie an literarische Traditionen an, in denen Geselligkeit die Basis von Freundschaft war, aber auch als ästhetisches Kampfmittel erprobt wurde. Als Meister in diesem Fach hat Sternberg diesen Traditionen seinen Stempel aufgedrückt und so eine Antwort gegeben auf die seinerzeit viel diskutierte Zerrissenheit – eine Tatsache, die bisher nur am Rande zur Kenntnis genommen wurde, die für die Rezeptionsgeschichten Lessings und Molières aber nicht unerheblich gewesen sein dürfte.
