Die literarische Gattung der Tragödie versiegt nicht im 18. Jahrhundert wie es Fénelon in seiner Akademierede (Discours à l’Académie) im Jahre 1715 prophezeit. Vielmehr erlebt die Tragödie eine neue Blüte: Die Bühnen bringen zahlreiche Neufassungen, die den antiken Stoff dem Geschmack des Jahrhunderts anpassen. Besonders beliebt sind die Sagen des Oedipus, des Philoktet und der Iphigenie. Neben dem literarischen Prestige der Gattung, interessieren sich die Autoren auch für Aspekte der Rezeptionsästhetik sowie für die Wirkung der Kunst auf das Publikum. Ausgehend von der Poetik des Aristoteles, versuchen die Autoren unter moralischen, historischen und ästhetischen Gesichtspunkten zu ergründen, warum die Zuschauer positiv oder negativ reagieren. Die Artikel dieses Bandes zeigen die diversen Facetten der Einbeziehung und Weiterentwicklung des tragischen Begriffs in die reformorientierte Philosophie des 18. Jahrhunderts. Dabei werden die Rezeptionsbedingungen der Antike sowohl im Frankreich wie auch im Deutschland des 18. Jahrhunderts betrachtet.