WehrhahnBlog

Samstag, 25.01.2020

Blog 03 Theater in Hannover

Junges Schauspiel: Verstehen durch Bilder

Von Curt Moritz

Vieles liest man dieser Tage von der neuen Leitung des Schauspiel Hannovers. Sonja Anders habe vieles verändert und das finden, wie auch in anderen Bereichen des Lebens, manche gut und manche schlecht. Nicht zu verneinen ist jedoch, dass öffentliche Aufmerksamkeit privates Interesse schafft, auch für solche, die das Vorher nicht wirklich gut kannten.
Mit dem Vorhaben, sich nun ein Bild vom Jetzt zu machen, tritt der Interessierte ein und beobachtet im Erdgeschoss überrascht: Aus roten Spinden für die Garderobe der Gäste sind nun gelbe geworden. Das Gelb zieht sich fort, sowohl an den Wänden, an der Decke als verschlungene Skulptur und an dem Boden als Mosaik. Mit einem Blick in das Programmheft – gleich zwei Mal Goethe – entsteht allmählich die Frage: Ist dies noch das Schauspiel Hannover oder eine norddeutsche Außenstelle des Reclam Verlags?
Assoziationen in Richtung der gelben Hefte aus dem Deutschunterricht verstärken sich zudem durch die unzähligen Schulklassen, die sich an diesem Abend im Foyer versammeln. Abo-Rentner, alleinstehende Damen und vereinzelt sitzende, junge Pärchen bilden deutlich die Minderheit. Mit einem vom Barkeeper gut gemeinten Aperol in der Hand lehnt sich unser Theater-Interessierte hier zurück und versucht, sich im Internet seines Vorhabens zu versichern. Nahezu schmeichelnd empfindet er als Hannoveraner den Besuch des angesehenen Feuilletonisten Simon Strauß, bestätigt sieht er sich zugleich aber in der eigenen Vermutung, wenn dieser in der Rezension zum heute anstehenden Werther schreibt: „Als Grundlage für Interpretationsaufgaben in der nächsten Deutsch-Klausur kann man sich den Abend gut vorstellen. Als Versuch, die großen Schicksalswerte des Klassikerstoffes für das Theater zu sichern, eher nicht.“
Zwei Stunden lang treibt ihn dieser Gedanke nun durch die von Lilja Rupprecht inszenierte Vorstellung: Soll hier etwas gesichert werden?
Vom Roman bleibt auf der Bühne nur Werther. Weder Lotte, noch Albert treten auf, sie bleiben Projektionen. Und auch Werther wird projiziert, mal rechts, mal links, mal im Hintergrund, mal jung (Alban Mondschein), mal mittelalt (Sebastian Nakajew), teilweise auch akustisch verstärkt, zum Beispiel wenn seine Rede zum von E-Gitarrenklängen begleiteten Popsong wird.
Wirklichen Eindruck hinterlassen an diesem Abend jedoch die eingängigen Bilder, die wie Emblemata für die großen Themen des Briefromans stehen. Der Theater-Interessierte sieht einen stürmenden Werther, der wieder und wieder mit Anlauf und lautem Knall gegen eine Weichbodenmatte springt – dem Großteil des Publikums dürfte diese Aktion aus dem Sportunterricht bekannt sein und die Verknüpfung von eigenem Gefühl mit dem jugendlichen Inhalt des Klassikers daher ein umso tieferes Verständnis schaffen. Man sieht einen untergehenden Werther auf einseitig eingestürzter Tischplatte – das Bild erinnert an den sich aufbäumenden Rumpf der Titanic, insbesondere wenn Werther wie ein Schiffbrüchiger auf der Platte liegt und so noch einmal letzte Hoffnung auf Rettung entsteht. Man sieht Werther auf einem Fahrrad, sich bis zum Äußersten verausgaben und dennoch auf der Stelle bleiben – sein Kampf ist aussichtslos.
Das Junge Schauspiel Hannover, denkt sich der Interessierte nach diesem Abend, schafft viel mehr als nur die Sicherung des Stoffes für das Theater. Es geht hier nicht um eine Aufgabe für die nächste Deutsch-Klausur, es geht darum, den Roman auf der Bühne verständlich zu machen und den Klassikerstoff so im Bewusstsein jüngerer Generationen zu verankern. Die Farbe Gelb war dafür schon einmal best practice.

Donnerstag, 26.04.2018

Blog 02

Alles Theater oder was. Aus Anlass eines neuen alten Theatertextes

Nun ist schon der 58te Band der Reihe Theatertexte erschienen. Es war die erste Buchreihe des Verlags. Es war ja klar, wie wichtig das Theater im 18. Jahrhundert war. Man kann es – kurz gesagt und mit heutigem Maßstab – als eine Mischung aus Kino und Tagesschau betrachten. Und doch gab es vor zwanzig Jahren recht wenige unbekanntere Theaterstücke in neu gesetzten Ausgaben. Lessing, Goethe, Schiller, und dann wurde es schon dünn. Als Verleger dachte ich, dass das eine Marktlücke sein müsste und zumindest ein kleiner Erfolg werden könnte, wenn diese Lücke gefüllt würde. Naja, so ungefähr ein Prozent der Stücke von damals liegen in den Theatertexten neuediert vor. Der Verlag wurde auch immer wieder mal dafür gelobt, manchmal kritisiert, vor allem, wenn der Rezensent nicht bemerkt hat, dass es nicht um historisch-kritische Editionen geht, sondern um das Verfügbarmachen von Texten, die mit einem Nachwort eine erste Sicht ermöglichen. Wie auch immer. Der Erfolg ist jedenfalls kein kommerzieller, Bücher sollen aber weniger gelobt als viel mehr gekauft werden. Oder solche Bücherreihen gar abonniert werden. Aber das klappt alles nur in sehr geringem Maße. Nur wenige Bibliotheken abonnieren die Theatertexte, haben meist einzelne Bände – immerhin. Jetzt aber Schluss mit Jammern. Ach nein, eine Träne habe ich noch: Ich hatte immer gehofft, dass vielleicht ein Dramaturg, ein Theater auf die Idee kommt, mal nicht die üblichen Stücke des 18. Jahrhunderts auf die Bühnenbretter zu bringen, sondern meine unbekannten, die ja oft erfolgreicher waren. Warum Lessing spielen, wenn man Lustspiele seines Bruders bringen könnte, wie »Der Lotteriespieler« (gemeint ist damit wiederum der große spielfreudige Gotthold Ephraim) oder »Der Mann nach der Uhr« (womit vielleicht auf Kant angespielt wurde?). Vor ein paar Jahren habe ich vor diesem Hintergrund ein großes Mailing an ca. 100 Dramaturgien deutscher Theaterhäuser gestartet. Ich hatte gedacht, dass wir vielleicht zwei oder drei Reaktionen bekommen würden. Aber es gab keine einzige Reaktion. Doch irgendwann wird es mal klappen, da bin ich ganz optimistisch, auch wenn mir mein Realismus sagt, ich sollte lieber pessimistisch sein.

Montag, 09.04.2018

Blog 01 – Alles indie oder was?!

Indiebookday 2018. Wie unabhängig?

Am 24. März war der Indiebookday. Vor ein paar Jahren hat der Mairisch Verlag aus Hamburg diesen besonderen Buchtag angeregt. Es sollen kleine unabhängige Verlage und ihre Bücher medial in den Vordergrund gerückt werden. Konkret: Leserinnen und Leser sollen in die nächste Buchhandlung gehen und ein Buch aus einem Indie-Verlag kaufen, mit einem Selfie von diesem Kaufakt kann man auch noch an der indiebookchallenge teilnehmen. Find ich gut, begrüß ich. Was ist aber ein Indie-Verlag? Kurz gesagt, ein kleinerer konzernunabhängiger Verlag. Ein Verlag, der dann – so klingt das immer durch – Schwierigkeiten hat, sein Programm im Buchhandel unterzubringen und der offenbar chronisch gute Bücher macht. Ich bin also ein Indie-Verleger! Naja, ich habe nicht den Eindruck Indie zu sein, nur weil ich einen kleinen Verlag betreibe und chronisch tolle Bücher mache, die ganz gewiss große Probleme im Buchhandel haben. Ganz im Gegenteil! Ich meine, dass ich Grund habe mich total abhängig zu fühlen. Ich bin keinem Konzern tributpflichtig. Aber ich, mein Verlag, meine Bücher sind total abhängig. Und letztlich gilt das für alle Indie-Verlage. Wir sind – nein ich schreibe lieber für mich selbst und meinen Verlag: Wir sind abhängig von Buchhandlungen, die es wagen, mal ein Buch in den Laden zu legen. Wir sind abhängig von Kundinnen und Kunden, die die Bücher nicht nur bestellen, sondern auch bezahlen – das gilt auch für Buchhandlungen. Wir sind abhängig von ausgesprochen interessierten Leserinnen und Lesern, die nicht nur ein Buch verschenken wollen, sondern mit einer gewissen Affinität für Verlage und durchaus spezielle Literatur in die Buchhandlung gehen, im Internet recherchieren, vielleicht sogar einen Literaturblog betreiben, auf youtube rezensieren. Wie sind abhängig von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nicht nur als Herausgeber und Beiträger, sondern als Leserinnen und Leser, die Bücher kaufen und als Anreger für Studentinnen und Studenten. Auch sie wären als Leser und Buchkäufer herzlich willkommen, und von ihnen sind wir ebenso abhängig. Wir sind angewiesen auf Universitäten und Stiftungen, Vereinen und Gesellschaften, die weiterhin gedruckte Bücher fördern wollen. Wir sind abhängig von Bibliotheken, die aber durch Bibliotheksverbünde und Wünschen nach digitalen Inhalten immer weniger echte Bücher kaufen. Und wenn die Bücher günstig sind, kann es passieren, dass sie nicht gekauft werden, weil solche Bücher ja von den Leserinnen und Lesern gekauft werden können - es sei denn, das Buch wird zur Anschaffung vorgeschlagen. Wir sind abhängig von Lehrerinnen und Lehrern, die ihren Schülerinnen und Schülern das Glück der literarischen Phantasie, des Kinos im Kopf emphatisch beibringen. Es ließen sich noch mehr Abhängigkeiten finden, noch mehr Abhängigkeiten, noch mehr Abhängigkeiten.

Mittwoch, 28.03.2018

Blog 00

Kurze Erklärung, was der Blog hier soll.

Dieser Blog ist nicht auf die Belange des Wehrhahn Verlags beschränkt. Gebloggt wird für Literaturinteressierte, die ein breites Interesse an Büchern und dem Büchermarkt haben. Es wird um Bücher, um Verlage, um Verlags- und Buchstrukturen gehen, selbst technische und wirtschaftliche Aspekte der Buchproduktion werden vorkommen. Und es geht um Bücher, die gerade erschienen sind. Diese werde ich meistens nur anlesen, aber so immerhin vom ersten Eindruck berichten können. Ich bin selbst interessiert, was demnächst erscheint und vielleicht geht das ja anderen auch so, weshalb ich auch mal in fremde Verlagsvorschauen einen Blick werfen werde. Viele Bücher in meinem Fokus wird man in der nächstbesten Buchhandlung vergeblich suchen.
Ein weiterer großer Bereich: Es geht um Literaturgeschichte. Ein Blog wird ja letztlich immer von den privaten Interessen des Bloggers geleitet. So wird dieser Blog auch mein Interesse an neuen Editionen alter Bücher und an alten Texten überhaupt spiegeln. Es muss nicht immer ganz ernsthaft zugehen, aber letztlich doch seriös, wenn ich auch gegen inhaltliche Fehler nicht gefeit bin. Es wird Zitate geben, wissenschaftliche Fußnoten und bisweilen nur ein Hinweis auf ein bald erscheinendes Buch. Und: Nicht jeder Blog wird ein sprachlich ausgereiftes Meisterwerk sein.
Jetzt habe ich oft genug »ich« geschrieben, aber es muss kein Blog sein, der nur meine Texte enthält. Wer gern einen kurzen, also maximal zweiseitigen Text hier veröffentlichen möchte, einfach schicken, dann muss ich sehen, ob das passt.

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