Der »Führer«: Es gibt in Deutschland vermutlich keinen zweiten Begriff, der erst eine ähnliche Karriere und dann einen so jähen Absturz erlebt hat. Er ist nach wie vor diskursiv so diskreditiert, dass er in der Sprachpraxis kaum gebraucht werden kann. Allerdings beweist dies nur, wie wichtig er einmal gewesen sein muss; nicht erst im Dritten Reich, auch schon während der Weimarer Republik, und mitten im republikanisch eingestellten Bürgertum. Je genauer man auf die Jahre zwischen 1918 und 1933 blickt, desto deutlicher wird es, dass man wenig über die Innenansichten dieser gesellschaftlichen Gruppe weiß, der man am ehesten Widerstandskräfte gegen den Nationalsozialismus zugetraut hätte. Wie die Begriffe ›Republik‹ und ›Demokratie‹ mit Inhalt gefüllt sind, darüber herrscht noch kaum Sicherheit.
Die Arbeit argumentiert, dass das Politik- sowie das Führerbild des republikanischen Weimarer Spektrums in hohem Maße auf Mustern beruht, die ihre Wurzeln in der Genieästhetik des 18. Jahrhunderts haben. Die Schlagworte des Sturm und Drang – Originalität, Regelfeindlichkeit, Neuheit – prägen die Vorstellungen von idealen politischen Führern. Durch das Austauschen von Codierungen von der Ästhetik zur Politik wird das bürgerliche Führerbild poetisiert und mit einer Aura des künstlerischen Genies ausgestattet. Die Fiktion gewinnt Macht über das Faktische.