Die kaum durch Restriktionen gebremste Verbreitung des Schriftgebrauchs und der Drucktechnik in den westeuropäischen Gesellschaften des Spätmittelalters und der beginnenden Frühen Neuzeit ist eine universalhistorische Besonderheit. In zehn Beiträgen werden in diesem Band die Folgen der Nutzung von Schrift und Druck zwischen dem 14. und dem 17. Jahrhundert untersucht.
Obwohl der Schriftgebrauch in die grundlegende Mündlichkeit der Vergesellschaftung unter Anwe-senden eingebunden blieb, veränderte er Strukturen der Sinnbildung, Wissenszirkulation und damit auch Zeitverhältnisse grundlegend. Die Drucktechnik intensivierte diese Transformationen nochmals und zog immer weitere Bereiche der Gesellschaft in sie ein. Für soziale Strukturbildung war eine der wichtigsten Konsequenzen des Schriftgebrauchs, dass durch organisationsförmig gestaltete Institutionen und durch Netzwerke ein enormer Zuwachs an sozialer Komplexität möglich wurde, der eine starke Beschleunigung sozialer Entwicklungen hervorrief. Das ist insbesondere in der politischen Gestaltung der Gesellschaft zu greifen. Durch organisiertes und verfahrensmäßiges Entscheiden und durch die schriftbasierte Verfügbarkeit von Informationen und Wissensbeständen entfernte sich Herrschaft von ihrer Grundlage der stets aktualisierbaren Gewaltfähigkeit und wurde zur Kommunikation von Entscheidungen allgemeiner Verbindlichkeit. Diese »Verstaatlichung von Herrschaft« war Teil einer neuen Translokalität des Sozialen, das damit auch aus der Präsenzgebundenheit der Mündlichkeit herauswuchs, so dass Gesellschaft im modernen Verständnis überhaupt erst möglich wurde.
Rudolf Schlögl
Einleitung – Politische Kommunikation und Schriftlichkeit in der vormodernen Stadt
Arndt Brendecke
Writing from Abroad or Talking at Court. Colonial Politics in Early Modern Madrid
Josef Hrdlička
Zugang zum Text – Zugang zur Macht? Zur Bedeutung der Privilegien in der politischen Kommunikation vormoderner Städte
Beat Kümin
Oral and Written Communication in the Late Medieval English Parish
Heinrich Lang
Power in Letters. Political Communication and Writing in the Medici Letters
Andreas Maisch
»Außgerufft sonntags Quasimodogeniti 1493 an den Staffeln«. Texte und Macht in Schwäbisch Hall 1550-1800
Katharina Neugebauer
Kommunikation im Konflikt. Die hallischen Auseinandersetzungen in zwischen 1474 und 1478
Stefanie Rüther
»Papierkriege«? Text, Interaktion und Wehrpolitik im ausgehenden 14. Jahrhundert am Beispiel der Süddeutschen Städtekriege
Gabriela Signori
Schrift und Recht. Das westfälische Femegericht im Spannungsfeld von Kommunikation und Interaktion
Sebastian von Stauffenberg
Vergängliche Pracht und »ewiges gedechtnus«. Mediale Inszenierungsstrategien frühneuzeitlicher Herrschereinzüge am Beispiel der Städte Dijon und Innsbruck
Thomas Weller
Städte und Territorialstaat im frühneuzeitlichen Spanien. Zum Verhältnis von Schriftlichkeit und politischer Kommunikation im Umfeld der kastilischen Cortes