Mit ›Defekt‹ und ›Defizit‹ wird in der Regel ein Mangel bzw. eine inferiore Qualität bezeichnet, ohne dass dabei der ästhetische Wert eines Gegenstands per se suspendiert sein muss. In der Literaturwissenschaft lassen sich hierzu Problemfelder ausmachen, die zu vielfältigen Fragen anregen: Was leisten defekte Artefakte für die Textur literarischer Texte? Wie wird defekt bzw. defizitär erzählt? Nach welchen Strategien werden überlieferungsgeschichtliche Defekte textkritisch tradiert? Wie unterlaufen und brechen literarische Texte – unter Affirmierung des scheinbar Mangelhaften – gesellschaftliche Normen, Codes und Konventionen? Um diese Problemkomplexe herum versammelt der Band Beiträge, die sich mit unterschiedlichen Facetten des Defekten und Defizitären in literarischen Kontexten auseinandersetzen. Der Blick wird dabei auf Motive, Verfahren, Gegenstände, Poetologien sowie Figuren des Defekten und Defizitären in unterschiedlichen Epochen, Gattungen und Philologien gerichtet.
Aus dem Inhalt: Dennis Borghardt & Florian Lehmann: Zur Literarisierung des Defekten und Defizitären – Thomas Emmrich: Monster und Parasit oder: Das Andere des Klassizismus. Überlegungen zu einem dekonstruktiven Impuls in Horaz’ Ars Poetica – Daniel Wendt: Verderbtes und Verdorbenes. Ästhetische und moralische Defekte in der frühneuzeitlichen Textkritik zu Petrons Satyrica – Manuel Förderer: »Nun kommen aber die Fehler hintennachgehinkt«. Zur Poetologie des Defekten bei Oskar Panizza – Reinhard M. Möller: Kreativitätsdefekte als kreative Defekte? Szenen heteronomer Kreativität in Kleists Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden und Raabes Der Lar – Janneke Meissner: Show-Freaks und falsche Hunde. Die methodische Verhandlung des Defekts in Paul Wührs Das falsche Buch – Robert Walter-Jochum: Roland Barthes’ Rippe. Der defekte Körper und die Frage nach der Funktion des defizienten Subjekts für Leserinnen und Leser von Autobiographien – Julia Heinig: Defizitärer Körper und verzerrter Blick. Der Zwerg als Gegen- und Abbild der Gesellschaft in Pär Lagerkvists Der Zwerg – Marten Weise: Vermögendes Unvermögen. Eine Poetik der Passivität in Henri Michaux’ Un certain Plume – Nadeschda Springer: »Die letzten Menschen!« ›Behinderung als Defizit‹ in Milo Raus Die 120 Tage von Sodom und die Auflösung des Vorurteils durch intertextuelle Verfahren – Waltraud Maierhofer: »Ein defektes Kind« Entscheidungsprozesse in neueren (auto-)biographischen und fiktionalen Werken zu Pränataldiagnose, genetischen Defekten und Abtreibung.